Briefe einer Hausschwester


Vorbemerkung

Der Text der folgenden Seiten wurde uns eines Tages von Dipl. Ing. Richard Röhrbein, früherer Stadtbaudirektor in Potsdam, dem Sohn des im Text genannten Fräuleins Carnehl (spätere Röhrbein), zugeschickt. Ich habe ihn mit zunehmendem Vergnügen gelesen, weil ich erkannte, wie sehr im Grunde genommen in den Erfahrungen der Hausschwester Louise Miehe, die den Text verfaßt hat, und ihrer „Stütze“ Martha Carnehl die Erfahrungen eines jeden von uns, der neu in Rom ankommt, stecken. Sie haben in der Villa Massimo 1929 und 1930 gearbeitet. Der Text zeigt deutlich, wie fremd sie sich fühlten, wie sie sich manchmal durch Schimpfen halfen und dann wieder beeindruckt waren von der freundlichen, fürsorglichen Menschlichkeit, mit der ihnen Italiener begegneten.

Unterschiedliche Schreibweisen, Dialektformulierungen und teilweise unkorrekte italienische Schreibweisen haben wir bewußt beibehalten. Im Übrigen war der Text nicht für die Öffentlichkeit gedacht, und zum Vergnügen sollte sich deshalb beim Lesen etwas Nachsicht gesellen.

Umsomehr möchte ich mich bei Herrn Röhrbein für seine aufmerksame Freundlichkeit, uns die Briefe und persönlichen Fotos zur Verfügung zu stellen, herzlich bedanken.

Die Fotografien der Villa Massimo und des Parks stammen vom Architekten Maximilian Zürcher, der sie 1913 aufgenommen hat. Die Originalplatten existieren nicht mehr, wohl aber Vintageprints. Wir danken der Direktorin des Museo di Roma, Dott.ssa Elisa Tittoni, für die Druckerlaubnis und Angela Windholz für den Hinweis, denn sie hatte bei den Recherchen zu Ihrer Magisterarbeit über die Villa Massimo dieses Konvolut entdeckt.

Dr. Joachim Blüher


Rom, Sonntag, den 6.10.29

Obwohl die Maschine, die wir hier stehen haben, ein ganz anderes System ist und vor allem eine andere Tastatur hat, was mir mit meiner Blindschrift verheerend ist, nehme ich doch dazu Zuflucht aus zwei begreiflichen Gründen: 1) weil Frau Julchen am Schreibtisch sitzt und das Tintenfass belagert und 2) ich nicht auf mein Zimmer gehen kann, weil besagte Julia dann bange ist, sie schreit gleich wie Ingo: »Mama, wo bist Du?« Sollte ich mal eben aus dem Hause gegangen sein, so ist Holland in Not, und sie ruft sämtliche vorhandene Gärtner und Portiere um Hilfe herbei. Tja, das ist nicht so einfach, die ersten Tage ist das noch büschen schlimmer gewest. Wir bewohnen eine Villa allein, unten ist das Büro und das Arbeitszimmer des Professors und unsere persönliche Küche neben einer sehr großen Hausdiele und einem Vorhof mit Säulenhalle. Oben liegt mein Zimmer, in das ich Julchen mit hereingenommen habe, wegen bange und weil das für sie vorgesehene keines war. Daraus habe ich eine Garderobe gemacht, so haben wir es jetzt aber ganz hübsch – neben unserem gemeinsamen Schlafzimmer, das auf einen romantischen Dachgarten hinausführt, liegt unser Bad, das Euch bestimmt imponieren würde, wie es sehr schön und ganz modern ist, daneben liegen Gastzimmer, die selten bewohnt werden. Endergebnis: Wir sind nachts allein, erst 6-8 Min. von uns liegt die andere große Villa, in der der Professor wohnt. Da könnt Ihr Euch denken, daß uns die ersten Tage manchmal die Haare zu Berge standen, Julchen öffentlich und mir heimlich, denn ich durfte mir doch nicht anmerken lassen, daß mir auch nicht so ganz wohl war, besonders, nachdem unsere Dame aus dem Büro freundlicherweise gesagt hatte, es würde im Haus spuken. Hätte ich auch noch gezeigt, daß mir selbst etwas grauslich war, dann hätte ich Julchen überhaupt nicht ins Bett gekriegt. Einmal sind wir mit Besenstielen bewaffnet von oben heruntergekommen, ich mußte natürlich voran, es hinterher, aber nur deshalb, weil sie um keinen Preis allein oben geblieben wäre, sie bleibt bei Muttern

tja – hm - - - - Mäuse, Ameisen in allen Sorten, am ekligsten sind die ganz winzigen, die fressen nämlich Fleisch und Käse – scheusslich. Wenn wir in der ersten schrecklichen Zeit, in der wir oft Nahrungssorgen hatten, den Rücken drehten in dem Bewußtsein, noch einmal eine Mahlzeit zu haben, ein Glück, daß Ihr gar nicht kennt, weil das, was wir in Deutschland Hunger nennen, keiner ist, wir kennen ihn aber und werden Euch in späteren und hoffentlich glücklicheren Zeiten davon erzählen, also, wenn wir dachten, dass wir etwas hatten, dann war es schon wieder alle, denn wenn wir wiederkamen, hatten es die Mäuse, noch mehr die Ameisen aufgefressen; wir haben so ekliges Fleisch gesehen, daß wir tagelang überhaupt nicht an Fleisch denken mochten, obwohl es uns sehr abging (dies braucht Ihr nicht gerade Mutter Carnehl zu erzählen. Ihr wisst doch, wie Mütter sind, sie denkt sonst, es ist alle Tage so). Wir essen nochmal soviel wie in Deutschland, was nicht mit unserer Arbeit, sondern mit dem Klima zusammenhängt, und unser Röschen wäre mir sicher in den ersten Tagen vonwegen vegetarischer und unzureichender Ernährung ausgerückt. Man stellt sich das Insauslandgehen sehr interessant vor, aber Kuchen, es ist eine schwere Aufgabe, und ich kann Euch gar nicht schildern, wie einem überhaupt zu Mute ist, bleibt schön daheim, Ihr wißt alle nicht, wie glücklich Ihr seid, seid nicht so unzufrieden mit Eurem Geschick. Ich meine manchmal, daß ich das alles gar nicht überwinde und nicht wieder nach Hause komme, es ist zum Verzweifeln traurig und schwer. Denkt nicht, daß ich sehr jaulig bin, in den ersten 8 Tagen ist es gar nicht vorgekommen, daß wir auch nur eine Träne vergossen hätten, nur als Post kam, auf die wir schon ganz besonders gewartet hatten (wir hatten gerade beide welche), da liefen die Töpfchen über. Sonst sind wir hart wie die Soldaten und haben uns immer gegenseitig aufgemuntert.

Wenn wir in den ersten Tagen nicht so einkaufen konnten, wie wir gern wollten, was das Schlimmste ist, wir können die uns vertrauten Sachen gar nicht bekommen und müssen uns ganz umstellen, denn immer Milchsuppe geht schließlich den geduldigsten Schafen auf das Gemüt und ewig Spaghetti ist unerträglich. Kartoffeln sind ziemlich rar und unsere Kücheneinrichtung ist auch noch sehr primitiv. Fleisch ist hier, wenn Ihr überhaupt etwas findet, sehr blutig. Man mag es kaum anfassen. Wenn es gebraten ist, dann ist es grau und wenn Ihr Glück habt, dann riecht es nicht. Wurst könnt Ihr gar nicht geniessen, höchstens Schinken und der ist auf die Dauer auch einseitig und recht teuer. Wir wollen Euch nur sagen: Ihr wohnt im Schlaraffenlande und wisst es gar nicht. Was es für ein Glück ist in deutschen und geordneten Verhältnissen zu wohnen, das wissen wir, seitdem wir im ewigen Rom sind, seid dankbar und seid froh. Wenn Ihr auch nicht große Mittel habt, Ihr könnt Euch mit bescheidenen Mitteln ein bekömmliches Mahl schaffen. Was gäben wir nur um einen einzigen Hering, die hier nicht zu kriegen sind, oder um 1/4 Pfund Thüringer Mett. Man mag gar nicht daran denken, dann wendet sich einem der Magen. Dabei verbraucht man hier ein Geld für die Ernährung, die wo keine richtige ist, das ist schlimm, und wir rechnen nur immer, wie zurechtkommen und seinen Hunger, der sich alle paar Stunden direkt wütend bemerkbar macht, stillen. Ich bin Euch doch wahrscheinlich als schlechter Esser bekannt. Ich habe Touren, daß ich verstehen kann, wie Hunde sich um einen Knochen balgen und Leute Wurst stehlen können. Scheußlich – bleibe im Lande und nähre Dich redlich, das ist ein ernstes und sehr wichtiges Sprichwort, und ich kann nur empfehlen, es zu beherzigen. Wir staunen bloß immer, wie billig man in der Heimat leben kann, uns es dabei noch ganz schön hat, während das Ausland nichts bietet und doch so teuer ist. Wir liefen gern die Herrenhäuser Alle 10 x herauf und herunter, um einen Knust trockenes Brot, wenn er auch alt wäre, denn das gibt es hier auch nicht – ein loses und ausdrucksloses bröckliges Weißbrot, was aber beileibe nichts mit dem bei uns gebackenen schönen Weißbrot zu tun hat. Wenn Ihr in Deutschland auch das bescheidenste Arbeitsgebiet habt, so seid glücklich, und wenn Ihr Gelegenheit habt, einen deutschen Straßenfeger zu heiraten, dann nehmt ihn gern, denn er ist noch fein gebildet gegen das, was man hier an Armut und Primitivität sieht.

Es ist heute Sonntag, da ist wie alle Tage auch Wochenmarkt. Da wir werktags wenig Zeit haben und gern zum Markt wollten, zogen wir, obwohl wir, trotz der Sonntagsruhe sehr müde waren, zum Markt. Julchen hatte sehr große Sehnsucht nach Fisch, es dürfte auch das gräßlichste Ungeheuer sein, wo man hat, mir grauste es schon im voraus. Jedoch war ich fest entschlossen, wenn es so was hier überhaupt gibt, ihr auf alle Fälle den Gefallen zu tun. Ich selbst hatte schon gehört, dass es nur scheußliche Viecher, wie Tintenfische mit so langen Greiferarmen gäbe, aber wir zogen los. Angekommen, hatten wir schon einen widerlichen Anblick durch den vielen umliegenden Unrat, dann gab es keine Fische mehr, es roch wohl danach, und ein Stand verriet wohl so etwas, war aber derart von dicken Brummern umschwärmt, daß wir gar nicht wagten, überhaupt nur in die Nähe zu gehen. Ihr macht Euch gar keinen Begriff, wie fett und eklig diese Brummer sind. Wir drehten uns um, Julchen jammerte nun nach Fleisch. Gegenüber las ein alter dreckiger Kerl aus an der Erde herumliegenden Fleischresten und ekligen Knochen das heraus, was man evtl. morgen zum Markte noch verwenden kann. Wir starrten dies widerliche Bild an und verließen unter Mitnahme von ein paar Mohrrüben diese Stätte des Ekels. Wir gehen nicht wieder zum Markt. Da es nun Sonntag war und 1 Uhr und wir noch kein Mittagessen hatten, versuchten wir nun irgendetwas zu bekommen und haben schliesslich in einem Laden, der gerade noch offen war, appetitlichen Käse und Schinken bekommen. Dann haben wir Schinken und Salzkartoffeln gegessen und etwas Butter dazu. Wenn wir uns vorstellen, daß uns jemand um unsere Auslandsarbeit beneiden könnte, dann werden wir sonst so gemütlichen Menschen direkt wütend. Neulich hatte ich einmal aus Verlegenheit Reis mit Pflaumen gekocht, Julchen war, als sie den Tischzettel erfuhr, nicht gerade sehr begeistert, weil Reis nicht ihr Lieblingsessen ist, heute fragte sie aber schon wieder, ob es nicht bald wieder Pflaumenreis geben würde. Der Mensch wird sehr bescheiden. Das ist nur ein kleiner Ausschnitt aus unseren täglichen Erlebnissen. Ich schreibe sie Euch aber, damit Ihr seht, was los ist und was Ihr habt.

Dieses Maschinenschreiben ist Strafarbeit, was soll man aber machen, jedes Zeichen und die meisten wichtigen Buchstaben liegen anders als bei uns. Alles, was bei uns umgeschaltet wird, wird hier nicht und Zahlen dafür grundsätzlich, sogar der Punkt. Da schreibt man so lange Episteln drauf und andererseits ist Zeit und Geld knapp. Was würde das geschrieben für Gewicht haben und wie lang sein. Also habt mit uns Verständnis und wenn einmal längere Zeit die Post etwas schmäler eingeht, so versteht auch das, denn eine derartige lähmende Müdigkeit kennt man bei uns in der Heimat nicht. Ihr könnt stundenlang geschlafen haben und geht so schwer wie ein Bleiklotz umher. Manchmal ist es mir schon morgens eine große Anstrengung, auch nur eine Treppe hinaufzugehen. Ich hoffe ja, daß sich das gibt, dagegen sagen die Italiener, daß bei Eintreten der Tropenwinde, die man hier Chirokko nennt, die Müdigkeit und Schlappheit noch viel größer wird, so daß sogar Straftaten, die beim Chirokko vorkommen, milder beurteilt werden. Da macht Euch ein Bild. Tags ist es schön warm, und die Erbsen blühen noch im Garten, aber nachts haben wir – besonders am Anfang – elend gefroren. Ich gehe überhaupt nicht mehr ohne meine alte Clubjacke ins Bett. Genug von der Jammerei – es gibt auch sehr Schönes hier, das uns die Zeit auch bewundern lernen läßt, aber erst müssen wir uns an die andere Ernährung gewöhnt haben: Pepperone, Tintenfische und dreckige Muscheln mit Begeisterung fressen und hinter Büschen die unheimlichsten Angelegenheiten auf freier Straße erledigen lernen. Wer am schnellsten wieder in die Böchse kommt, kann es am besten. Auf den Straßen, auch auf den vornehmsten, gibt es niedliche Einrichtungen, ein kleiner Blechwandschirm auf sehr hohen dünnen Beinen, bei dem man, von dem, der dahinter steht, auch sehr ausdrucksvoll die Beine sieht und den Kopf – sehr naiv. Seitdem wir diese zartfühlende Einrichtung kennen, sehen wir natürlich möglichst entgegengesetzt. Überhaupt kann man mit dem harmlosten Gesicht hier keinen einzigen Mann ansehen und wir sind doch noch so ein wenig neugierig, denn sonst denken sie gleich, das man andere Absichten hat und wird in der zudringlichen Weise angestarrt und wenn man nicht schnell streng wegsieht, wird man auch noch belästigt. Das sind alles Dinge, an die man sich am besten recht schnell gewöhnt, um nicht unangenehm aufzufallen.

Gern würde ich Euch noch mehr schreiben, aber es ist schon Mitternacht und wir sind gewöhnt, viel zu schlafen und müssen viel und tüchtig arbeiten, später von der Arbeit selbst. Wir müssen erst einmal weiter sein und klar sehen, wie wir zurechtkommen. Alle Tage treffen jetzt Künstler ein, auch solche mit dicken Titeln, auch vom preußischen Ministerium kommen Herren, teilweise mit Damen, die bei uns wohnen und von uns Frühstück bekommen. Ebenso ist für den Januar schon der Kultusminister angemeldet. Julchen studiert bereits den Hofknicks ein, sie ist mein ganzer Trost und ich sorge immer, daß das Kind viel schläft, möglichst auch mittags, was bis jetzt auch immer gelungen ist. Wir haben am Nachmittag schon 2-3 Stunden geschlafen und waren doch noch müde und dumm – Tja, wer nun mal büschen dov ist, der ist es denn woll – näch.

Für heute, Ihr Lieben, seid recht herzlich gegrüßt und grüßt vor allem auch alle Bekannten und sagt bitte, daß wir mit der Zeit noch allen schreiben werden, auch den Verkaufsdamen, Jonny und Weschenfrau usw. Geld und Zeit und Zeit und Geld, die Lire geben sich so schnell aus, und wenn der große Hunger nicht wäre, gäben wir sie nur für Porto aus. Wenn Ihr aber denkt, daß wir für jeden Brief 1,25 zahlen müssen, dann habt Ihr sicher Einsehen und Geduld. – Auch Meiselbachs – und Schmidts grüßt bitte und sagt Ihnen das, wir schrieben noch allen, nur warten müßten sie noch, näch? Diesen Brief gebt man nicht den andern zu lesen, aber bitte den Reisebericht. Halt Vorsicht, ist auch nur für ganz wenige, bitte überlegt das, weil zu ausführlich (z.B. nicht an Wesche, Römer), nur der engste Kreis, aber an Erna Müller.


Rom, den 12. Oktober 1929

Wir könnten nur immer los schreiben, wenn wir alle Erlebnisse beschreiben wollten. Meistens sind wir abends so müde, daß wir einfach in die meist nicht gemachten Betten fallen. Vorläufig ist das jedenfalls unerhörter Luxus. Das macht alles nichts, was sollten wir an den langweiligen Betten auch noch zurechtmachen, wo nichts drin ist, als 2 Decken und ein hartes Kissen, dieses Kissen ist kein Kissen, sondern ein Brett – oh wir schlafen »wir dormiren« sehr schön, wenn es nicht spukt.

Zur Sache:
In der großen Villa führt eine grausliche dunkle, geheimnisvolle und sehr steile Treppe in die unfassbare Unterwelt (es ist aber wahr und kein Scherz). Dieses ist der Eingang zu Katakomben, deren Größe nicht bekannt ist. Unser Hausmeister will uns nächstens mit Fackeln herunterbegleiten, ich verzichte aber dankend, es genügt mir schon ein Blick in die schwarze Tiefe. Huh--

Julchen fehlt ein Knopf am Schuh, sie dachte schon, sie müßte so nach Deutschland laufen, da fanden wir so etwas ähnliches wie einen Schuster, ein ganz kleiner Raum, ein Bild von Mussolini und zwei wunderschöne alte Römerbilder. Ich quatschte los, er verstand und nähte den Knopf an, während ich der Frau, etwa einer Fünfzigerin, ein Kompliment wegen der Wanddekoration, sachte»bella illustrata«, sagte und sonst höflich war, etwas, was man hier als eine Lebensnotwendigkeit betrachtet. Launen gibt es nicht, nur strahlende Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit. Man kann im miesesten Zustande den ewig freundlichen und verbindlichen Italienern einfach nicht anders begegnen. Inzwischen war der Schuh fertig und ich fragte nun: »Quanto costa?« Antwort: Oh – strahlendes Lächeln der Frau – »Niente Signorina« – also gar nichts! Außerdem hatten die Leutchen noch den Knopf dazu gegeben und wir waren noch nie dagewesen.

Wir kaufen ein, Butter, Eier und sonstiges – am Ende bei der Abrechnung stellt sich heraus, daß wir nicht genug Geld haben, es fehlen noch 5 Lire, ich will dem Mann, bei dem wir erst zum zweiten Mal kaufen, sagen, daß wir das Letzte »domani« morgen abholen werden. Aber er winkt strahlend liebenswürdig ab und sagt, daß wir gern ein anderes Mal zahlen sollen. Ich will ihm wenigstens unsere Adresse »Accademia Tedesca« sagen, aber »niente«, er verzichtet strahlend lächelnd und weiss, ohne uns zu kennen, daß wir es ihm bestimmt bringen (Julchen hat fast nicht geschlafen, daß nur der Mann erst seine 5 Lire bekommt).

Wir kaufen Karten und brauchen die erste Zeit, wo keiner begreifen kann, daß wir wieder noch nicht geschrieben haben, sehr viele. An der Porta Pia gibt es sehr schöne und sehr billig – 50 Centesimi für 5 Karten, das ist für eine ungefähr 2 1?2 Pfennig. Kurz erhalten wir einen Batzen von ein paar hundert hingelegt, keiner beobachtet uns, keiner passt auf oder hat Sorgen, wir suchen unseren Berg heraus und legen das Andere sorgfältig zurück und zahlen. Strahlend liebenswürdig sagt uns die einfache Frau »Auf Wiedersehen«. Wie leicht könnte da ein wenig gewissenhafter Mensch etwas einpacken, woraus kein Mensch Arg hat, hier geht es aber Vertrauen gegen Vertrauen. Bei uns wäre man doch ängstlich, daß etwas wegkommt. Und dieses Volk soll stehlen? Ein furchtbarer Blödsinn wird bei uns verzapft. – Die Deutsche Akademie ist nach der Straße zu wie eine Festung angelegt, die Mauern sind ca. 2 Stockwerke hoch, fabelhaft und imponierend, aber abgeschlossen wird diese stolze Sache nachts nicht, im Gegenteil, der Schlüssel bleibt sogar im Tor stecken, für jeden zugänglich, aber kommen tut keiner und stehlen schon lange nicht. Wir schlafen so ruhig, weit mehr als hinter unseren festverschlossenen, heimischen Haustüren. Julchen hat sonst immer gemeckert, daß wir allein in einem Hause wohnen müssten. Sie sieht schon lange nicht mehr unter Betten und Kleiderschränke, ist nur froh, daß wir keine Katakomben unter uns haben. – Ja, mit Katakomben haben wir nicht gern zu tun. Das Leben, sei es auch noch so voll Arbeit, ist uns viel lieber, und wir wollen doch so gern wieder zurück. Immer wird ausgerechnet, wie viele Tage wir schon von unserer Haft verbraucht haben.

Der Klimawechsel ist unerhört. Jeden Morgen wachen wir mit andern Schäden auf, dann haben wir beide kein Gefühl in den Armen, dann funktionieren plötzlich die beiden großen Zehen nicht, am nächsten Morgen ist die linke Hand nicht gebrauchsfähig usw. Wir werden sehr bescheiden und sind froh, wenn die einzelnen Lieblinge überhaupt wieder beweglich werden. Kürzlich nachts ein Angstgeschrei »Miechen, ich bin gestochen, mach doch schnell Licht.« Ich kriege einen Riesenschrecken, dann dauert es immer eine Weile, ehe man seine Glieder bewegen kann, wir sind immer erst sekundenlang gelähmt. Endlich habe ich Licht, es sitzt im Bett mit einer Doppelschnute, sehr komisch, aber unbegreiflich was das für ein Biest war, ist bis heute noch nicht heraus. Wir haben die Negerschnute mit Alkohol bearbeitet und am Morgen war fast nichts mehr zu sehen. Alle solche Sachen kann man erleben. – Ein Tier, ein Tier. Widerlich sind die entsetzlichen großen und fetten Brummer, während ich die vielen Eidechsen sehr niedlich finde. Kürzlich hatten wir vor dem Schlafengehen einen recht fetten Brummer im Zimmer, ich schrieb, während Julchen Jagd auf ihn machte, ihn mit sanften Flötentönen und schliesslich sowohl deutsch wie italienisch aufforderte, dieses Lokal zu verlassen – niente – er tat es nicht. Schliesslich hatte er sich auf Julchens Schulter niedergelassen, die im Nachtgewand frohlockend aus dem Zimmer eilte. Draußen ließ sie schadenfroh das Nachthemd fallen und kam ohne wieder – hm – aber – aber mit Brummer, denn er saß nur auf dem blanken Fell, während das unschuldige Nachthemd auf dem kalten Flur lag. Empört forderte sie mich nun auf, den Brummer zu entfernen, erstens konnte ich vor Lachen nicht mehr, zweitens habe ich schließlich alle beide rauskomplimentiert, die Dame mit Brummer, um der Affäre ein erfolgreiches Ende zu bereiten.

Es ist jetzt Nachmittag. Julchen schläft. Ich wollte es auch tun, aber erst muß ich die einzelnen Episoden loswerden, sonst häuft sich der Stoff. Zeit ist hier gar nichts. Alle Augenblicke ist etwas anderes los. Kaum habe ich eine Arbeit angefangen, dann will Herr Prof. G. mit mir irgendetwas besprechen oder beabsichtigen, oder es ist ein Handwerker da, oder die Näherin schreit »finito« und will andere Arbeit haben, oder es kommt Besuch, oder ich soll sofort bei irgendeinem unserer inzwischen eingetroffenen Künstler die angefangenen Arbeiten begutachten. Da kann ich nicht nein sagen, sondern gehe hin, denn ich fühle mich entsprechend verantwortlich, wenn ich schon gerufen werde. Tja, das ist man nicht so einfach. Neulich hatte ich mich etwas zurückgezogen, als ich auch schon wieder gerufen wurde. Prof. G. hatte mit seiner Frau zusammen den Pressechef von Stresemann (um den man hier sehr trauert) mit Frau in meine Behausung geschleppt, machte uns bekannt und bat mich, die Künstlerwohnungen zu zeigen, was mir mit einer fabelhaften Liebenswürdigkeit gedankt wurde und mit dem Bemerken, daß alles sehr schön wäre, was ich kaltblütig einsteckte, denn Dreck haben wir hier schon genug besehen, und aus Butzen die schönsten Zimmer gemacht. Herrn Prof. G. besonderer Stolz ist ein Frühstückszimmer für die Künstler, das gewissermaßen aus dem Nichts entstanden ist. Ich hatte dieses für seinen Empfang als Überraschung vorbereitet. Keiner wußte, wo denn wohl die Künstler gemeinschaftlich frühstücken konnten, da habe ich fein nichts gesagt und bin mit Julchen einen Nachmittag bis in den dunklen Abend hinein an die Butze gegangen, und am Ende hatten wir ein der Küche nahegelegenes, sauberes und behaglich eingerichtetes Zimmer, in dem jetzt alle mit Appetit essen. Früher bestand die Unsitte, daß jedem Künstler die Frühstückssachen in die Ateliers gebracht wurden. – Niente –

Es sind hier der Maler Max Neumann mit Frau und Sohn, eine reizende Familie, bei der Julchen und ich auch schon zu italienischen Gerichten zu Tisch eingeladen waren, und die wir aus diesem Grunde auch schon bei uns zu Tisch hatten, um das zu erwidern, natürlich zu deutschen Gerichten. Max Neumann hat im Prov. Museum ein Ölgemälde, das von der Firma Pelikan, Günther Wagner gestiftet worden ist, seht es nur einmal an. Daneben haben wir den Maler (Expressionist) Herbig mit Frau und Sohn hier, die Frauen wohnen nicht auf der Akademie, dann den Bildhauer Zadikow, der z.Zt. eine Ausstellung in seinem Atelier veranstaltet, zu der wir auch eingeladen sind. Zu den Vorbereitungen hatten wir unsere Hilfe versprochen, erschienen auch. Da er aber genügend weissen Frascati getrunken hatte, brauchte er unsere Hilfe nicht, sondern schleppte die unmöglichsten Gegenstände im Atelier herum, und wir flüchteten angstvoll in die äußersten Ecken, während Herr Neumann, der auch mithelfen wollte, sich vor Lachen bog. Alle die zartesten Figuren und Skulpturen kamen in Gefahr, umgeworfen zu werden, und ich wollte mich schon mit Rücksicht auf meine Nerven zurückziehen, als (Zadikow) mit dem Rufe »jetzt soll er sterben« mit einem Bildhauerhammer auf ein Gipsmodell losstürmte, das so groß war wie ein 6jähriger Knabe, das Modell für eine lebensgroße Knabenfigur aus weißem Marmor gewesen war. Jetzt wurde es uns aber doch zu bunt. Julchen schrie, weil ihr die schöne Gipsfigur leid tat, ich dagegen ergriff sie mit den Worten »wenn sie sie doch zerstören wollen, dann können wir sie auch gleich entfernen«, huckte den viertelzentner schweren Gipsjungen auf und verschwand damit durch die Ateliertür. Julchen folgte beglückt auf der Stelle. In unserem Zimmer angekommen – schenkte ich ihr den geraubten Sabiner und habe ihr dazu meine Säule aus Ebenholz versprochen. Seitdem hat Julchen Transportsorgen. Vielleicht könnt Ihr Euch schon mal erkundigen, wie hoch Kunstgegenstände verzollt werden und ob es erlaubt ist. Ja, wenn man keinen Kummer über nicht ankommende Post hat, dann hat man eben solchen. Als wir von diesem Triumphzug zurückkehrten, hatte sich das Atelier unter Beppinos und Herrn Neumanns Hilfe schon verändert. Wir ernteten noch eine Zeichnung und mußten uns verpflichten, beides nichts als echten Zadikow auszugeben. Wir haben dann die Anwesenden zu unserer Abschlussausstellung eingeladen, die von unserer am Ende der Zeit bestehenden Sammlung von Kunstgegenständen veranstalten wollen.

Schluß – ich glaube, Julchen hat sich totgeschlafen. Wir haben noch zu tun, denn morgen trifft Herr Nentwig mit Frau bei uns ein und wohnt in meiner Villa, er ist Ministerialdirektor vom Kultusministerium. Ob wir später noch mit Euch verkehren – ist noch nicht heraus.

Fortsetzung folgt, falls kein Erdbeben eintrifft oder sonst ein Tier uns frisst – in den Abruzzen gibt es Wölfe, und im Garten haben wir Skorpione.

à rivederla !


Rom, den 10.10.29

Daß diese blöde Maschine keine deutschen Typen hat, habe ich schon zur Genüge gesagt, aber immer wieder muß ich das erwähnen, weil die vielen Typfehler sich nicht ausschalten lassen; was man 8 Jahre gewöhnt war, das läßt sich nicht in drei Wochen abgewöhnen.

Was sollen wir Euch nun zuerst erzählen. Fangen wir mal gleich beim heutigen Sonntag an. Wir hatten seit 14 Tagen keinen Sonntag mehr vor lauter Arbeit, umsomehr haben wir den heutigen genossen. Wir haben, um ganz frei zu sein, auch nicht gekocht, sondern sind ins Deutsche Haus gegangen, das der Deutschen Vereinigung Rom angehört, und in dem auch die Deutsche Schule ist. Wir bestellten neben dem Essen einen 1/2 Liter Frascati, ohne die Wirkung zu berechnen, die dann aber nicht ausblieb, indem wir unsere ganze Energie brauchten, um frisch und froh das Lokal zu verlassen. Dann gingen wir zur Villa Borghese, die den meisten von Euch als historische Stätte dem Namen nach bekannt ist. Im Park haben wir dann bei Radio-Konzert billig Kaffee getrunken (ungefähr das einzige, was hier billig ist). Wenn man hier zwei Tassen Kaffee bestellt, so bekommt man folgendes: 1) eine Kanne mit einem 3/4 Liter Wasser, 2) eine Kanne mit einem 1/2 Liter Milch, 3) eine kleine Viertelliter-Kanne mit Kaffee, dazu 4 Tüten mit Zucker, 2 Tassen und 2 Wassergläser. Man giesst nur ganz wenig Kaffee in die Tasse und plört sich dann genügend Milch und Wasser dazu, um keinen Herzschlag zu bekommen. Solchen Kaffee kennt Ihr nämlich alle nicht. Das ist nur Essenz. Wir sassen unter einer großen Palme inmitten von lauter fremden Menschen und kamen uns vorübergehend sehr interessant vor. Vor allem fanden wir, dass die Italienerinnen fast alle hässlich sind, vor allem die alten, die sehr oft etwas Hexenhaftes haben. Solche schöne, alte Frauen wie meine Mutter – sah ich noch keine. Wenn einmal eine Italienerin wirklich schön sein sollte, so ist sie es wirklich vollendet und bewundernswert, aber man findet es selten, unsere Frauen erhalten sich auch länger jung; diese hier sind mit 25 verblüht.

Nach dem Kaffee suchten wir die »Ungarische Botschaft am Heiligen Stuhl« auf und fanden nach langem Suchen schliesslich auch hin. Ich wollte doch die deutsche Erzieherin besuchen, die schon 11 Jahre im Hause ist und wie Kind zu Hause, oder wie die Baronin von Bareza sagte, ihr wie eine Schwester nahesteht. Wir wurden dort mit fabelhafter Liebeswürdigkeit aufgenommen und Frau von B. sagte uns, daß wir ihr Haus soviel wie möglich aufsuchen möchten und es als Heimat betrachten möchten, obgleich sie Ungarn wären. Wir haben dann gleich einen Besuch bei uns auf der Akademie verabredet und gemeinsame Ausflüge. Das Haus selbst ist sehr reich ausgestattet; was uns besonders imponierte, war, daß jeder Raum eine andere Seidentapete hatte in den schönsten Farben und jedes Zimmer die herrlichsten Krystallkronen. Die Menschen sind von verblüffender Einfachheit, sehr natürlich und liebenswürdig. Frl. Ohlrau war mit der Familie schon in mehreren Jahren in Schweden (Stockholm) und ebenso in Budapest und Wien und wird, falls Herr v. B. versetzt werden sollte, auch dort mit hingehen. Dann fuhren wir sehr bereichert nach Hause und sitzen nun und schreiben Euch, wo doch trotz aller Eindrücke die meiste Zeit die Gedanken weilen. – Unser italienisches Faktotum – Beppino – bemüht sich, mit uns deutsch zu sprechen. Er war auch schon in Amerika und man kann sich mit ihm, wenn es auf Italienisch nicht geht, ganz gut auf Englisch verständigen, nur daß er selbst fast nicht zu verstehen ist. Oder könnt Ihr Euch vielleicht einen englisch sprechenden Italiener vorstellen? Beppino wollte uns neulich einen besonderen Gefallen tun und fragte sehr liebenswürdig: »Wie geht E i c h?« Wir waren natürlich sehr glücklich und ebenso höflich wie er und sagten: »Oh, mille grazie, Beppino, bene, bene!« Jetzt war natürlich die Reihe an Beppino, glücklich zu sein, denn wir hatten uns doch so angestrengt und auf Italienisch geantwortet.

Wir haben ein Gespann von zwei Dackeln auf dem Grundstück, Max und Moritz. – Julchen vermisste unseren Handfeger. Beppino kommt strahlend an: »Die kleinen Hunde haben Poliere, Poliere.« Da brauchen wir natürlich nicht mehr zu suchen, wer anders als das schwarze Gesindel hat sie auch wohl geholt. – Wir bekommen eine Anzahl neue Chaiselongues für die Künstlerwohnungen. Ich richte ein Atelier ein mit einer neuen Chaise, gehe fort, Julchen holt mich nach 10 Minuten entsetzt. Die Chaise ist 1?2 m Meter lang aufgeschlitzt, der Inhalt liegt in hellen Haufen davor im herrlichsten Tohuwabohu. Ich sehe zum Fenster hinaus. Unten stehen mit frommen Augenaufschlag Max und Moritz – auch diese Frage war gelöst. Wir wollten am vorigen Sonntag, an dem wir wegen des erwarteten Besuchs nicht ausgehen, wenigstens gemütlich Kaffee trinken. Julchen hat dazu ehinlich Kuchen gekauft. Sie kocht Kaffee, wir wollen uns hinsetzen, als ich abgerufen werde.

Pause – er wird wieder kalt und nochmal gewärmt. Ich erscheine wieder, ganz beglückt nun endlich zu dem ersehnten Genuß zu kommen, als Julchen einfällt, daß die Familie des Malers Max Neumann schon einige Male nach mir gefragt hat, und da die Frau nach einer Grippe zum ersten Male aufgestanden war, ich sie in der Zeit mit Umschlägen versorgt hatte und wir ausserdem auch vorher dort schon zum Essen eingeladen waren, so mußte ich sie wenigstens besuchen, es war schon reichlich spät für die Rekonvaleszentin. Also, bevor ich Kaffee bekomme, muß ich noch zu einem kurzen Besuch zu Neumanns, es ist eben nicht leicht, Hausmutter zu sein, ich will mich dort schnell verdrücken, weil Julchen doch mit dem dreimal gewärmten Sonntagskaffee wartet, aber »Sie müssen eben noch mit ins Atelier und mein neuestes Bild sehen«, was soll ich machen, in Begleitung der ganzen Familie geht es hin, das neueste Bild zu betrachten. So geht es immer. Endlich war es denn inzwischen 5 Uhr geworden, als wir zum Kaffeetrinken kamen, Abendessen dementsprechend. Überschrift: »Sonntagskaffee«.

Wir erwarten Besuch auf der Akademie: Ministerialdirektor Nentwig und Frau, die in meiner kleinen Villa ein Zimmer bewohnen. Die Vorbereitungen nahmen den ganzen vorigen Sonntag in Anspruch, deshalb auch der Ansatz zum Kaffeetrinken so spät.

Zu 7 Uhr waren die Gäste angesagt, um 6 Uhr nahmen wir noch ein sonntägliches Bad, um uns dann entsprechend zu verschönern. Plötzlich Rufen im Hause – der Besuch traf schon eine Stunde vorher ein, und die Dame des Hauses saß sozusagen noch im Badewasser. Große Überstürzung. Julchen versuchte krampfhaft, mir einen Strumpf anzuziehen, was, wenn man aufgeregt ist, grundsätzlich nicht geht, die Späne flogen. Schließlich war nach sehr kurzer Zeit die Toilette beendet, die jedenfalls dem Direktor der Akademie wie eine Ewigkeit vorgekommen sein muß, aber es ging alles programmäßig, ich wurde vorgestellt und konnte dementsprechend meinen Besuch empfangen. So habe ich mich bei meiner vorgesetzten Behörde eingeführt. Da es aber gerade das Kultusministerium ist, setzte ich voraus, daß sie auch für Kultur ein entsprechendes Verständnis hat. Außerdem wußte unser Besuch ja selbst, daß er eine Stunde zu früh eintraf. Er zeichnet sich aus durch allergrößte Einfachheit und Rücksichtnahme. – Dass wir neuerdings Kakteen essen, haben wir sicher noch nicht geschrieben, es ist aber so, d.h., die Früchte davon, die herrlich schmecken. Kürzlich meldete sich der Staatssekretär zur Besichtigung der Akademie an, grosse Vorbereitungen, er kam leider war es aber zur Besichtigung zu spät geworden, so daß uns dieser Festakt in nächster Zeit nochmals bevorsteht. Kürzlich war der Pressechef von Stresemann mit Frau hier. Herr Prof. G. machte uns bekannt, und die Besichtigung ging vor sich. Meinetwegen kann der Kaiser von China kommen, ich bin auf alles gefasst. Interessant ist es auf alle Fälle, und etwas muß man doch auch davon haben, daß man an der Grenze von Afrika sitzt. – Julchen war mal wieder von einer Bestie von Mücke gestochen, einmal ins Bein, auf das wir zwei Tage Umschläge machten und heute Nacht ins Augenlid, das wie ein netter kleiner Beutel herunterhing, ich natürlich auch entsprechend, aber bei mir sind die Ekel höflich und suchen sich Stellen aus, die nicht so augenfällig sind, wir haben überall Gase und Gitter vor.


Rom, den 26.10.29
(Bericht vom 28.9. bis 26.9.29)

Nachdem wir dieses angefangen haben, müssen wir erst wieder essen, so geht es uns immer, also »Buono Appetiti«!
Inzwischen haben wir unsere Kartoffelsuppe verdrückt und feste gearbeitet, so daß wir schachmatt wieder an Land kamen, außerdem schon wieder zwei Mahlzeiten verzehrt. – Nun zu unserer Reise. Schon in Basel merkte man, daß wir im fremden Lande waren, andere Typen, andere Sprache, und als wir Karten kaufen wollten, stellte sich heraus, daß unser Geld keine Gültigkeit mehr hatte. Miechen hatte wohl italienisch Lire, aber keine Schweizer Franken. Wir hatten inzwischen sehr nette Reisegesellschaft in unserem Abteil gefunden, Herr Studienrat Seier von der Deutschen Schule in Mailand, was für uns von sehr großem Vorteil war, denn wenn Miechen auch allerhand Sprachtalent entwickelt hat, so ist es doch nicht so einfach, wenn man um Mitternacht in einem fremdsprachigen Lande ankommt und von den Hotelschleppern geradezu bestürmt wird, eine Methode, die und fremd ist und derartige Formen annimmt, daß man sich der Zudringlichkeit kaum erwehren kann. Unsere Absicht, über den Vierwaldstätter See zu fahren, mussten wir aufgeben, weil wir durch diese Disposition einen ganzen Tag verloren hätten. In Mailand angekommen, hat Herr Studienrat Seier erst ein geeignetes, gutes und nicht so teures Hotel (Albergo Manin) für uns gesucht, er nahm, weil er noch kein festes Zimmer wieder hatte, ein Zimmer neben uns an, und es war für uns sehr beruhigend, zu wissen, daß wir nur an die Tür zu klopfen brauchten, wenn uns irgendwie ängstlich zu Mute gewesen wäre. Wir bekamen auch leihweise seinen Wecker, weil wir am anderen Morgen sehr rechtzeitig für unsere Reisen nach Rom bereit sein mussten. Trotz der späten Ankunftzeit hielt es Herr Seier für notwendig, daß wir wenigstens die Hauptsehenswürdigkeiten von Mailand geniessen würden. Deshalb sind wir mit ihm nach Festlegung der Zimmer noch zum Mailänder Dom – der ganz aus weißem Marmor gebaut ist – gegangen, der ganz wundervoll und rein gotisch, sehr gross ist. Dann sahen wir die Börse, wichtige Plätze und vor allem die sogenannte Galerie, eine überdachte Straße, auf der verschiedene Cafes sind. Wir tranken dann selbst noch den pikanten ital. Caffee und anschließend eines der besonderen hies. Getränke, den Campari-Bitter, den wir schwer beschreiben können, jedenfalls ist er mehr bitter als süß, man könnte sagen: Limonade mit Alkohol. Dann nahm Herr S. eine Droschke und fuhr uns zum Hotel und überliess uns dann, nachdem er sich von der Güte unseres Zimmers überzeugt hatte, uns selbst. Federn gibt es nicht, statt Decken nur Laken, im Hotelhof Palma, die fast bis zur zweiten Etage reichen, unser Zimmer sehr elegant, mit Waschgelegenheiten, die ich so nur in Wannseevillen gesehen habe oder sonst in den Häusern wohlhabender Leute. Früh um 8Uhr Treffen mit Herrn S. zum Frühstück, dann hat er uns noch zur Bahn gebracht und regelrecht verladen. Als wir uns gebührend für seine rührende Fürsorge bedanken wollten, meinte er, wir könnten es nur recht machen, indem wir ebenso wie er für durchreise Deutsche sorgen sollten. Inzwischen sind wir schon in Italien und haben nichts von den Eindrücken in der Schweiz erzählt. Es ist eben grandios, der Vierwaldstätter See und der St. Gotthard war jedenfalls das stärkste Erlebnis. Wir sind auf den St. Gotthard erst 1000 m hoch hinaufgefahren und dann eine Viertelstunde lang durch den Tunnel an Lugano vorbei und sahen auch in der Ferne Locarno, dann in sausender Fahrt herunter nach Chiasso, wo die zweite und schärfste Pass-Kontrolle und Gepäck-Kontrolle kam, nämlich die italienische. Bei uns ging das schnell. Julchen kam ganz ungeschoren davon. Miechen machte den größeren Koffer auf, ein Griff hinein und es genügte. »Basta«. Schlechter erging es zwei Abteile weiter einem Italiener, der eine große Brokatdecke und mehr, Packungen Konfekt mitgenommen hatte. Er wurde geschnappt und mit seinen ganzen Sachen nach dem Zoll-Depot geschleppt, währenddessen wir so lange liegen blieben. Endlich ging die Reise weiter, und wir landeten, wie schon beschrieben, in Mailand, wo wir dann endlich nach 1? stündiger Fahrt und noch 2 Stunden Stadtbesichtigung um 2 Uhr nachts zur Ruhe kamen.

Am nächsten Morgen waren wir nach unserem Abschied von unserem Reisefreund nur noch unter italienisch sprechenden Leuten auf uns selbst angewiesen. Wir fuhren bis Genua, mussten dort umsteigen, Bahnsteig wechseln mit 8 Stück Gepäck, während anfangs kein Fachino zu bekommen war, haben wir dann doch auf der Hälfte zum nächsten Binario (Bahnsteig) noch einen bekommen, weil wir unseres vielen Gepäcks wegen sonst den Anschluß verpaßt hätten. »Per Roma«. In diesem D-Zug konnten wir glücklicherweise bis Rom sitzen bleiben. Für die Fahrt von Mailand bis Rom brauchten wir noch einmal 15 Stunden, die uns, weil wir ganz auf die Italiener angewiesen waren, sehr lang wurden, und wir, was uns sehr unangenehm war, wieder erst um Mitternacht ankamen. Die Fahrt an der italienischen Küste entlang war wirklich herrlich, wir sind die ganze Riviera entlang gefahren und haben immer wieder die herrlichen Bilder, die sich uns boten und die ausserordentlich seltenen Farben des Meeres, das in unergründlicher Weite vor uns lag, bestaunt. Wir fuhren zwar dauernd durch Tunnels, waren aber immer wieder überrascht, wenn sich von neuem die romantische Küste zeigte. Grosse Felsenriffe, von schäumender Gischt umspült, hohe Felsen, die steil ins Meer abfallen und weite Meeresflächen, die in stärkstem Blau und einem Smaragdgrün, wie wir es gar nicht kennen, ergänzen, wechselten ab. Wir sahen unter vielem anderen den schiefen Turm zu Pisa, die Lombardei und den Po und waren bei den Städten und Dörfern, namentlich in Norditalien, überrascht von dem geradezu naiven Bruch und Verfall, der uns ebenso neu war wie die wunderbaren farbigen Landschaften, die wir beschrieben haben. Man läßt den Kalk oder den Verputz oder auch die Steine, wenn sie lose sind, eben in der Luft hängen oder herabfallen, wie es passt oder der Wind es vorhat. Nirgends sind die Gegensätze so stark wie hier. Grosse Paläste, wenn möglich aus Marmor – daneben verfallene Hütten, in den verlumpte Menschen hausen. – Die elegante Italienerin ist nicht anders denkbar, als mit weichsten Pastellfarben bemalt und mit dem rötesten Lippenstift verschönt, in einer Weise, die den deutschen Mann unbedingt abstossen muß. Hier scheint es indessen zu dem guten Ton zu gehören – andere Völker – andere Sitten.

Nachdem wir von allen Seiten vor den Italienern gewarnt waren, namentlich auch vor dem Fahren in der III. Klasse, mußten wir berechtigte Angst haben. Es kam anders. Die italienischen Wagen sind bequem und nicht schmutziger als unsere bei langen Fahrten. Unser Abteil war mit einem italienischen Ehepaar, einem Geschwisterpaar (Flieger mit Schwester) und einem it. Sergeanten ausser uns besetzt. Es lässt sich schwer sagen, wer von diesen Menschen der netteste war und wer sich am meisten um uns bemühte, uns die schönsten Aussichtspunkte, die besten Plätze am Fenster einräumte und sonst uns alle möglichen Freundlichkeiten erwies. Jedenfalls steht das Eine fest, daß die Menschen ausnahmslos reizend waren und wir bei unserer Ankunft in Rom bereits fünf it. Freunde hatten, mit denen wir auch ferner Grüße eintauschen waren. Miechens Vokabelvorrat war auf der 15stündigen Reise bald erschöpft, und neue Möglichkeiten für die Unterhaltung mit unseren liebenswürdigen Reisegefährten mussten geschaffen werden. Dabei mussten wir geradezu Talent entwickeln, Julchen wurde müde, da wickelten die »schmutzigen Italiener« ihre Füße in Papier, und der Soldat deckte sie sorglich mit seinem Mantel zu. Das sucht Euch erstmal in Deutschland, wo es vorkommt, daß man stundenlang stehen muß, bevor einer aufsteht. Wir könnten noch vieles sagen, wovon wir nur lernen können, es wird aber zu lang, möchten aber alle bitten, diese berechtigten Eindrücke weiterzugeben, und das falsche Vorurteil bekämpfen zu helfen und den Italiener besser zu würdigen. – Kurz vor dem Übergang vom deutschen auf das Schweizer Gebiet fragten wir einen deutschen Schaffner, der diese Strecke zu hundert Malen fährt, wann unser Zug in Luzern sei, worauf wir die barsche und entrüstete Antwort bekamen, daß es doch eigentlich stark wäre ihn so etwas zu fragen. Wenn er, obwohl im Zuge selbst immer wieder Dienst tuend, tatsächlich die Ankunftzeit nicht wusste, so hatte ein diensttuender Beamter noch Möglichkeiten das festzustellen, außerdem ist es geradezu herzlos, in die Fremde fahrende und auf ihn angewiesene Landsleute so abzufertigen. Man stelle sich vor, daß auch Menschen fahren, die weniger gewandt sind und in solcher Lage geradezu hilflos. Unerhört.

Also zurück zu Mailand am 20.09.1929. Herr S. trank also mit uns Kaffee, schenkte uns ein, strich uns, glaube ich, auch die Brötchen und behandelte uns wie seine Kinder, obgleich ich ihm, glaube ich, wenigstens einige Jahre über bin. Was tut das? Es war schön in der Fremde so verwöhnt zu werden. Inzwischen sind wir schon auf dem anderen Bogen auf der weiten Reise Mailand – Rom. Als nach noch mal 15 Stunden der 3. Abend heraufzog, nahmen wir zum letzten Male unser Essen im Speisewagen ein, hierbei saß uns ein netter Österreicher gegenüber, der nach kurzem sich als Deutschsprechender zu erkennen gab. Wie das ist, wenn man zum 1. Mal in Fremdland fährt und dann nach fast einem Tage die Landessprache wieder hört, das glaubt keiner. Es ist dabei ein Unterschied, ob man nur eine Vergnügungsreise macht oder für längere Zeit Abschied nehmen muß. Kurz – Herr Eisenberger aus Wien – übernahm jetzt die Vaterrolle des Herrn Studienrat Seier und hat uns betreut bis in unser Hotelzimmer, das er sich genau wie Herr S. vorher erst zeigen liess, während er selbst sich wegen Platzmangel mit einem eingerichteten Bade-Zimmer behelfen mußte. Es war in beiden Fällen gut und notwendig, daß die Herren uns behilflich waren, denn beide Male kamen wir um Mitternacht an, und beide Male stürzten sich die Schlepper der Hotels sich wie die Geier auf uns, deren sich die italienisch sprechenden Herren besser erwehren konnten, als Miechen das möglich gewesen wäre. Folgendes ergab sich in Rom: Strömender Regen bei unserer Ankunft, 4 von diesen genannten Ungetümen stürzten auf uns los; während ein mit uns gehender italienischer Reisegefährte, der in Rom als Bankbeamter ansässig ist, uns in ein gutes Hotel bringen wollte. Kaum hatten die Bestien das begriffen, als ein fürchterliches Lamento einsetzte, und schliesslich von den Kerlen die Polizei geholt wurde, weil unser Reisegefährte nicht berechtigt sei, uns in ein Hotel zu bringen.

Herr Eisenberger hatte seine liebe Not, uns aus der verdammten Lage herauszubringen, man stelle sich das vor, Mitternacht in einem fremdsprachigen Lande, bei strömendem Regen von solch rabiaten Kerlen umgeben, wo ein Mann, der sich wenigstens verständigen kann, doch ganz anders durchdringt. Der Polizist ging dann weg und überliess uns eigener Wahl, verfolgt von den schreienden und gestikulierenden Kerlen, die vor den Kopf tippten und uns gutes Wiedersehen um 7 Uhr auf dem Bahnhof wünschten (a rivederla da la stazione centrale a sette ore, aparzo, aparzo (verrückt, verrückt))!! Ich bin ja ziemlich beherzt, bekam aber allmählich doch Gänsehäute. Vor einer großen Tür angekommen, fragte Herr Eisenberger mich, ob er die bezeichnete Pension wenigstens ansehen sollte, zögernd bejahte ich. Kaum war er im Hauseingang, um sich von der etwaigen Güte oder Mangelhaftigkeit zu überzeugen, so schrie Julchen »nein, nein, das Haus ist so schwarz, das Tor ist so dunkel usw.« Meine Gänsehaut verstärkte sich, und ich veranlasste Herrn Eisenberger, der auch unentschlossen war, davon abzusehen, weiter bei strömendem Regen ein richtiges Hotel zu suchen (2 waren schon abgeklappt, aber besetzt). Na also, schließlich bekamen wir, wie in Mailand, ein sehr nettes Zimmer dank der Sprachkundigkeit und Dringlichkeit unseres Reisebegleiters, der sich, wie oben beschrieben, mit einem Bad mit Chaiselongue behelfen musste, nachdem wir mit ihm erlöst noch ein Glas Mandelmilch getrunken hatten, bei dem wir die eben überstandenen Abenteuer nochmals durchsprachen. Hier passt auch »von sichern Port lässt sich gemäglich raten«.

Andern Tags rief Miechen in der Deutschen Akademie an, worauf Frl. Ringo sich meldete, eine Deutsche, die aber bereits 6 Jahre in Italien ist, sie hat aber die romanische Liebenswürdigkeit nicht angenommen, den nötigen Dünkel sich bewahrt und die preußische Polizei-Miene, obwohl sie heute meinte, falls ich jemals einen schlechten Eindruck von ihr gehabt hätte, möchte ich darüber hinwegsehen. Wohl – ich will großzügig sein, habe aber nach unserer Ankunft Julchen versprochen, daß ich sie in unserem Reisebericht so gebe, wie sie sich uns vorgeführt hat, das gehört dazu, außerdem eine Landsmännin, die ihren fremdeinreisenden Mitschwestern nicht das geringste Empfinden entgegenbringt, muß auch richtig abgemalt werden. Also nach eingenommenem Frühstück und Abschied von Herrn Eisenberger, sah ich eine Carrozza (hat mit dem Euch bekannten Wort nichts zu tun) also Autotaxe und wollte zur Villa Massimo, Via G.B. de Rossi 34, aber Kuchen, der gute Mann wußte überhaupt nicht, wo das war, auch auf mein eindringliches »l´Accademia di Germania« reagierte er nicht. Mir war zwar noch ganz wohl, aber ich dachte an die vielleicht zuviel zu zahlenden Lire. Schließlich habe ich ihm den Kram aufgeschrieben, dann stellte sich heraus, dass unsere Strasse »Giovanni Battista de Rossi« hieß und fast ganz außerhalb Roms liegt, sie ist tatsächlich nicht mehr auf dem großen Stadtplan drauf, so á la Stöcken oder Waldhausen. Jedenfalls hätte die Gans am Telefon soviel Nachgedanken haben müssen und fremdeinreisende Menschen auf diese Schwierigkeiten aufmerksam machen müssen, denn es liegt ja wohl nicht nur am Tage unserer Einreise da draussen, wo Fuchs und Hases ich »Gute Nacht« sagen und Rom zu Ende ist, sondern wird wohl schon immer so gelegen haben. Übrigens dieselbe Dame, die »Berlin, gr. Seestrasse« geschrieben hatte, was hier der Advokat schon wieder weiss, von dem sie es dann erfahren hat. Genug davon – inzwischen sind wir hier gelandet, nachdem Frl. Ringo wie die rächende Nemesis am Tor stand, als unser Auto endlich Einfahrt hatte, mit hochgezogenen Brauen, sämtlichen nur aufzubringenden Falten trotz ihrer erst 32 Jahre (vielleicht lügt sie auch 6 ab) sie war geladen, weil sie unseretwegen, wie sie sagte, im Regen stehen musste, wir auch reichlich spät kämen usw. Ich habe sie erst mal quatschen lassen, dann trocken gesagt, daß ich zwar bedauere, dass sie naß ist, wir uns aber in Deutschland nicht unnötigerweise in den Regen stellen, weil man ja bekanntlich keinen hergucken kann, ich außerdem seit gestern Nacht in Rom noch nicht so restlos bewandert bin, um mich mit meinen Sprachkenntnissen besser durchzusetzen (ich dachte nur, dass ich meine Landsleute bestimmt aus dem Hotel abgeholt hätte oder jemand Zuverlässiges geschickt hätte, aber jeder ist anders verrückt).

Nachdem sie es vorgezogen hatte, die Falten der Strenge und der Vertretung des Hauses einzuziehen, weil ich mich nicht aus der Ruhe bringen ließ und sie friedlich anlachte, außerdem mit soviel Grandezza an ihr vorbei in den Park eingefahren war, zeigte sie mit dem Finger auf mein Julchen und sagte herablassend: (mit Falten) »Ist das ihr Mädchen?« Nach kurzer Vorstellung und nicht mehr mißzudeutender Berichtigung meinerseits war der wundervolle Empfang auf Deutschem Boden vorüber. Alles übrige will ich mir schenken, nur noch erwähnen, daß das bezeichnete liebe Mädchen heute aus der Hand frißt, nicht probiert, sich die geringste Anmaßung zu erlauben und von mir ganz nett in Schach gehalten wird. Sie hat sogar eine offensichtliche Vorliebe für Julchen. – Bei mir hat sie sich zu bezeichnend eingeführt, ich bin zwar sehr höflich, bemühe mich auch, diesen Eindruck zu verwischen, werde das dumme Gefühl aber leider nicht ganz los. Sie schämt sich zwar offensichtlich sehr, hat auch schon zu Julchen gesagt, daß sie manchmal nicht nett wäre, aber das ändert jedenfalls nichts an der Tatsache, daß wir wildfremd von weither kamen und schon drei Tage unterwegs waren, als wir die lieblichen Züge von Fr. Ringo, erblickten, die sie extra uns zum Empfang aufgesteckt hatte, außerdem hatte ich ihr bereits vom Hotel gesagt, daß ich kein »Mädchen« hätte, sondern eine Stütze, weil sie schon am Telefon so unverschämt gefragt hatte. Ich habe scheinbar einen guten Tag gehabt, sonst hätte ich vielleicht mal auch »Preusse« gespielt, aber ich hatte auf der Herfahrt soviel zugelernt, und war so froh, daß wir endlich da waren.

Prof. Gericke ist noch nicht da und wird morgen erwartet. Inzwischen haben wir schon gewirkt. Julchen zeigte sich hauswirtschaftlich sehr tüchtig und brauchbar, sie gibt mal eine gute Hausmutter. Reinemachen kann sie, als hätte sie ihr lebtag nichts weiter gemacht und fix ist sie auch. Da das nicht zum Thema gehört, wollen wir weiter fortfahren.

Jetzt geht es aber im Telegrammstil, weil es sonst soviel Porto kostet, und wir allen Grund haben, sparsam zu sein. Denkt nicht, daß wir weiter so lange Briefe schreiben könnten, denn mit der köstlichen Freiheit ist es jetzt aus, ab morgen wird der Betrieb aufgenommen, bis jetzt hatten wir nur einen Künstler auf der Akademie, der sich aber selbst zu versorgen hatte, weil seine Zeit abgelaufen war. Er ist mit der Fertigstellung seiner letzten Arbeiten beschäftigt und wird Rom in den nächsten Tagen verlassen, es ist der Bildhauer Zadikow, der frei aus dem Stein heraus arbeitet, während andere erst ein entsprechendes Modell ausarbeiten. Also in unserer Küche war nichts, nicht Topf noch Messer, halt, Topf war da, aber weder Messer noch Gabel noch Löffel, nicht Salz noch Mehl weder hoch noch tief, bloß Leitungswasser, was wir auch gebührend bewunderten. Ihr habt vielleicht gedacht, daß wir eher schreiben konnten, aber wir hatten Hunger und mußten wohl sehen, wo wir was herbekamen. Das Personal aus dem Haupthause ist für sich, gehört zum Privathaushalt, während ich Hausfrau der Akademie bin, das sind getrennte Welten, und das ist sehr gut. Aber so hatte sich auch niemand verpflichtet gefühlt, das Geringste vorzusorgen, schon muß ich wieder hierbei aufhören, weil Julchen schreit »komm, hier ist ein Tier, ein Tier, so eins hast Du noch nicht gesehen.« Nachdem wir es betrachtet haben und nicht wissen, ob Frosch, Käfer oder Fisch, haben wir es leider von der Welt gebracht, weil wir gerade unseren Zoo schon voll genug haben und kein Käfig mehr frei ist. Weiter: Die ersten Tage haben wir unser Dasein mit Milchsuppe gefristet, feste Gegenstände, wenn vorhanden, mit den mitgebrachten Taschenmessern in den Mund gebracht, was Julchen trotz vorhandener größerer Öffnung nicht ohne Verletzung bewerkstelligte. – Trauben, die lächerlich billig sind, waren unser Hauptnahrungsmittel, sonst gab es Milch mit Nudeln und zur Abwechslung Nudeln mit Milch, trotzdem die bitteren Mandeln vor unserer Küchentür hängen und die Lorbeerhecken an Mutters Schmorbraten erinnern. Käse kaufen wir mit Begeisterung, der ist sehr gut, aber mit Wurst könnte man uns jagen, Knoblauch und nochmal.

Das erste Fleisch, was wir notgedrungen kaufen mußten, haben die Mäuse gefressen, den Käse die vielen Ameisen und sonstiges Viehzeug. Inzwischen habe ich wertvolle Patente erfunden, um diese wirkungsvoll zu bekämpfen. Wohnen tun wir herrlich, der riesige Park ist märchenhaft schön, die Hauptvilla innen mit Marmor ganz belegt, Treppenhaus und Wände. Innerhalb der großen Villa gehört noch ein Appartement von ca. 6 Räumen zu meinem Bereich, weil diese von Künstlern noch bezogen werden oder von Gästen der Akademie. Außerdem der große Festsaal mit einem wundervollen Fußboden aus Marmor-Mosaik und schönen alten Säulen. Sonst ist es Privatwohnung vom Direktor. Die Künstler bewohnen jeder ein in sich abgeschlossenes Haus mit eigenem Eingang und Atelier, so daß jedes einer Einfamilienvilla gleichkommt. 10 solcher Atelier-Häuser sind vorhanden und die kleine Villa, die ca. 5 Minuten vom Hauptgebäude entfernt liegt und ungefähr 8 Zimmer hat, eines davon ist meines, das sehr hübsch ist und auf einen großen Dachgarten hinausführt, von dem ich bis zu den Gebirgszügen rübersehen kann. Dieses teile ich nach meiner Anordnung mit Julchen, weil das für sie vorgesehene nicht zureichend ist. Von letzterem habe ich einen Garderobenraum geschaffen mit einer mustergültigen Garderobe für Koffer. Herrlich ist unser eigenes Badezimmer, überall fliessend warm und kalt Wasser und alle möglichen Vorrichtungen. Mittags schlafen wir immer, weil der Klimawechsel auch nicht so einfach ist. Außerdem habe ich vor, anders als bisher, das rechte Maß von Arbeit und Ruhe vorzusehen; soweit es nur irgend durchführbar ist. Sonntag wollten wir uns einen besondern Genuss verschaffen, indem wir uns in den Garten setzten, um dort in der Sonne Kaffee zu trinken, mußten aber hinterher feststellen, daß wir nicht nur eine halbe Stunde geblendet waren, sondern auch ziemlich blöde und den ganzen Tag nicht mehr frei von Kopfschmerzen, es ist doch nicht so ganz einfach mit der ital. Sonne. Gestern wollten wir uns einen ganz besonderen Genuß verschaffen und den viel gepriesenen billigen Rotwein trinken – 2 Ltr. 40 Pfg tja, die Wirkung war zunächst eine sehr lächerliche, wir waren seltenerweise sehr froh und angeregt und freuten uns auf die gute Schlafwirkung. Nach langem Hin- und Herwälzen musste ich gegen 1 Uhr feststellen, daß ich fieberte, rasendes Herzklopfen hatte und daß Julchen sich auch herumwarf, auf Anrufen erwachte sie aus einem Menschenfressertraum, während ich schon vor Nashörnern und wilden Pferden davongelaufen bzw. auf die Bäume geklettert war. Baldrian und nasse Herzkompressen mußten uns wieder auf die Beine helfen. Vorläufig reicht uns der erste Versuch.

Sonntag waren wir an der nahen Meeresküste, näher als Steinhude, es ist das Thyrrenische Meer zwischen Rom und Sardinien und Korsika. Herrliche Farbwirkungen, schwarz-weißer Sand wie Pfeffer und Salz. Sonnabend waren wir abends in der Deutschen Vereinigung, um die Akademie würdig zu vertreten. Auch die Botschaft war vertreten, nur bei beiden fehlten die Oberhäupter, es war von allem etwas da. Herrlich sind auch Julchens sprachliche Leistungen, die ich am liebsten wie Paul Simmer bildlich wiedergeben möchte. Schade, daß ich das Talent nicht besitze.

Jetzt könnt Ihr mal in unseren vollen Speiseschrank reinsehen, inzwischen macht mir keiner mehr etwas vor und Julchen wundert sich, wenn meine Speiseprogramm immer reichhaltiger wird infolge der fortschreitenden Sprachkenntnisse, die sich notgedrungener Weise zuerst auf die Nahrungsmittel bezogen.

Wir haben jetzt wohl alles Erwähnenswerte gesagt, später mehr, denn Zeit und Geld erfordern trotz allen guten Willens, dass wir uns anpassen, und die Heimatleute müssen das verstehen, wenn wir auch gern jedem Einzelnen immer wieder ausführlich schreiben möchten. Aber bei dem großen und noch sehr kulturbedürfigten Arbeitsgebiet, das mir übergeben ist, fliegen Tage und Stunden wie nichts. Wir werden mit der Zeit nette Aufnahmen machen und senden, damit Ihr Euch alle ein Bild von unserem neuen Gebiet machen könnt. Der ganze Park ist nach der Strasse zu wie eine Festung angelegt, mit riesigen Wällen und Mauern, unsere kleine Villa liegt im äußersten Winkel und ist etwas einsam, dahinter ist noch ein kleiner Garten, den ein Kreuzgang umgibt, riesige Zypressen bilden eine Allee zur Hauptvilla.
Eine köstliche Episode ist folgendes: Ein Herr erscheint früh und murmelt etwas in den Bart. Ich grüsse »Buon giorno« und verweise ihn an den italienisch sprechenden Gärtner, sofort wendet er sich an den mit den Worten »ah, guten Morgen, ist das Büro heute geschlossen?« Darauf habe ich dann aber furchtbar gelacht und gesagt: »Was, Sie sprechen deutsch? Das kann ich auch!« Was einem innerhalb der deutschen Akademie alles passieren kann, nachdem ich dem guten Wesen vorher italienisch gesagt hatte, daß ich »non parlo italiano« was er sich bloß gedacht hat, welkem Sprakke ik reden.


Rom, den 4.11.1929

Es ist dies, das sei gleich zu Anfang gesagt, in diesem Jahr, abgesehen, von besonderen Ereignissen der letzte Bericht. Ihr seid nun alle inzwischen im Bilde, wo und wie wir leben. Wir werden uns jetzt nur darauf beschränken, die eingehende Post zu beantworten, die anfängt, lebhafter zu werden. Eines muß ich nochmal sagen, daß weder die deutsche Arbeit noch der deutsche Dünkel zu übertreffen sind. Ich habe ja von Kindheit an gewusst, daß das »Made in Germany« nicht nur eine Qualitäts- und Ausfuhrbezeichnung für England war, sondern daß es der Welt mehr zu sagen hatte. Man kann hier nehmen, was man will. Es ist reichlich so teuer, bis vielleicht auf das Obst, aber eben viel schlechter oder eben überhaupt schlecht. Wenn es mal einer nicht so recht glauben will, wie schlecht das Material ist, dann nehme ich unsere Kehrblechschaufel und frage, in welches Format er sie gebogen haben möchte. Die Butter ist meist ranzig, im Zucker sind, obwohl 3x so teuer als bei uns, Haare – usw. Mit dem Fleisch kann man einen totschlagen, nachdem es 5 Stunden gekocht hat, die Eier schmecken nach Schwefel und gar erst, was handwerklich gearbeitet wird, Arbeiten, die der Deutsche entrüstet als Flickwerk zurückweisen würde.

Nachts ziehen wir uns an wie Polarleute mit dicken Wolljacken, was uns in Deutschland noch nicht einmal im Winter eingefallen wäre. Dabei blühen hier noch die Erbsen, und der Gärtner pflückt noch alle Tage Bohnen. – Unsere Zimmer haben alle Steinfliesen, die sehr kalt machen. Wie Holzfußboden aussieht, können wir uns gerade noch vorstellen.
Mussolini wohnt nur wenige Minuten von uns entfernt, die Wache zieht immer an uns vorbei. Kinder gibt es hier soviel, dass man darüber fallen muß, und es scheinen, wie es aussieht, noch sehr viele unterwegs zu sein. Na, denn man zu.
Die Verlobung des Kronprinzen ist mit großem Pomp gefeiert worden. Die Illumination der Stadt war herrlich. Zur Trauerfeier für den Fürsten Bülow waren wir auch, wir waren vorschriftsmäßig tief in Schwarz und mußten am Eingang unsere Namen eintragen. Es war sehr einfach und eindrucksvoll.

Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus. - -

Die Vorbereitungen für die Weihnachtsfeier sind in vollem Gange. Herr Prof. Gericke hat unter den Künstlern einen Wettbewerb veranstaltet: Wer den schönsten Entwurf für einen Krippenbild liefert, bekommt den Auftrag, das Bild mit lebensgroßen Figuren für die Weihnachtsfeier zu malen, außerdem bekommt er 100 deutsche Reichsmark als Belohnung. Nun gings los. Überall, wo man hinkam, lagen Entwürfe herum. Ein bestimmter Tag war für die Fertigstellung angesetzt. Es beteiligten sich 5 Maler und 1 Bildhauer, alles schon fertige Künstler. Herr August Wilhelm Dressler ging aus dem Wettbewerb als Sieger hervor. Er ist ein sehr befähigter Künstler und sein Entwurf wurde von allen Teilnehmern als der Beste anerkannt. Sonntag vor Weihnachten – der 22. Dezember – Grossbetrieb im Atelier Nr. 3. Wir standen mit Begeisterung dabei und sahen, wie die Arbeit Fortschritte machte. Ein alter Eichelsucher sowie unser alter Gärtner dienten als Modelle für die Hirten. Beppino, unser Haus-Faktotum, mußte für den Josef Modell stehen, und unsere Waschfrau ergab die Maria. Das Jesus-Kind ward besonders schön. Wir konnten uns gar nicht trennen, es war zu interessant, wie das Bild so allmählich entstand. Die Wolle der Schafe erschien uns greifbar deutlich. Dressler arbeitete mit Aufopferung seiner ganzen Kräfte und brachte das Bild bis zum Morgen des 24. Dezember fertig.

Inzwischen hatten auch wir grössere Vorbereitungen zum Feste. Miechen hatte den Saal herzurichten, was ihr herrlich gelang. Sie erntete auch eine Anerkennung beim Professor. Eine große Tanne, die aus Berlin geschickt war, mußte geputzt werden. Miechen, Abel und ich – nebst Rajano zogen ins große Haus. Wir hatten sehr vielen Christbaumschmuck und nun wurde gearbeitet. Miechen schmückte die einzelnen Tische mit Tannen usw. Abel und ich putzten den Baum. Damit fertig, spielte ich ein bisschen mit Rajano und kraulte ihm hinter dem Ohr, weil er eine Ohren-Entzündung hatte, wobei ihm das Kraulen sehr gut bekam, denn er knurrte vor Behagen. Wir lagen friedlich auf dem Teppich, als uns plötzlich ein furchtbares Gepoltere erschreckte. Ich wagte kaum nach oben zu sehen, ich dachte der ganze Baum lag an der Erde. Abel, der noch damit beschäftigt gewesen war, die Kerzen anzubringen, und zwar auf einer Stuhllehne stehend, war heruntergefallen und kroch auf der Erde herum. Um ihn herum lagen einige zerdrückte Kugeln usw. Im übrigen war es noch gut verlaufen, nur haben wir schrecklich gelacht, weil es zu komisch wirkte. So nach und nach waren die Vorbereitungen beendet. Dienstag – Heiligabend – um 5 Uhr sollte die Weihnachtsfeier beginnen. Bis 4 Uhr hatten wir mit Gründlich-Reinemachen zu tun. Zur Feier waren die Künstler und einige Fremde geladen, natürlich die Künstler mit Frauen und Kindern, sofern in Rom anwesend, unter a. Miechen und ich. Die Kerzen wurden angezündet bis alle versammelt waren, war es 1?2 6. Das von Dressler angefertigte Bild, das transparentfähig war, wirkte gut. Eine feierliche Stille auf der ganzen Linie. Prof. Gericke verlas die Weihnachtsgeschichte aus der Bibel, anschliessend wurden entsprechende Grammophon-Platten gedreht und alles verlief in schönster Harmonie. Der Tannenbaum brannte lange und auf den Gesichtern spiegelte sich der Lichterglanz wider, und jeder sah zufrieden aus, wenn auch mit den Gedanken nicht ganz bei der Sache – aber dann bestimmt doch bei den Lieben daheim.

Hinterher gings zum realistischen Teil über. Herr Dreyer hatte ein kaltes Büfett mit vielen schönen Sachen, wie Kuchen, Fleischsalat, Weissbrot, Limonade, usw.. Jeder zog mit seinem Teller und Glas an die Theke und holte sich von neuem - soviel wie er essen mochte und verdrückte sich damit in irgendeine Ecke bzw. setzte sich zu den zerstreut an den Tischen herumsitzenden anderen. Alles zusammen war eine große Familie. Auch ich fühlte mich wohl, saß mal bei diesem und mal bei jenem und so verging der Heilabend, vor dem mir schon lange gegraut hatte. Nachher feierten wir in unserem Villino weiter.

Das Leben ist schön, aber teuer.

Rom, den 2. April 1930


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